„ZUM WERK VON HARALD FUCHS“

Text: Thomas Hirsch (Wikipedia)

In seinen dezidiert theatralisch vorgetragenen Konfrontationen von Natur-Ästhetik und Wissenschafts-Ästhetik simuliert Harald Fuchs Wahrheits- und Wahrscheinlichkeitsmodelle, die er vor allem aus der Naturwissenschaft, aber auch Psychologie ableitet.Zentrales Thema dieser Installationen, Objekte, Fotoarbeiten ist das Verhältnis von Glauben und (Natur-) Wissenschaft und die Ersetzung seit Urzeiten tradierter Riten und ihrer Fetische durch die anonymen Forschungslaboratorien unserer Tage. Seine Beiträge handeln von der Kraft der Religionen, der Steuerbarkeit der Welt und den Gefahren des Fortschritts noch in Rückkopplung auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Indem Harald Fuchs zugleich Episoden der Wissenschaftsgeschichte und einzelne ihrer Experimente rekapituliert, hinterfragt er die Verantwortung des Naturwissenschaftlers und seinen Einfluss auf die Geschichte.

Schon seit Ende der 1970er-Jahre befragt Harald Fuchs mit subjektiven künstlerischen Mitteln die Gegenwart anhand der Vergangenheit und auf der Grundlage objektiver naturwissenschaftlicher Experimente. Seine Medien sind zunächst die Performance und die Malerei und Zeichnung, welche er auf großen Formaten gestisch, verhalten farbig und an der Grenze zwischen Abstraktion und Gegenstand vorträgt. Schon wenige Jahre später verschiebt sich sein Schwerpunkt auf die Installation und die Fotografie, zugleich erzeugt er, oft noch durch Verdunkelungen, einen atmosphärisch dichten Parcours. Die Inszenierungen wirken aufwändig und komplex, evozieren mit Reflexionen labyrinthische Strukturen und beziehen neben dem bewegten Bild mitunter Sound ein. Tatsächlich verwendet Harald Fuchs einfachste „klassische“ Laborgeräte (Kolben, Schläuche, Reagenzgläser, Petrischale), Lichtapparaturen und spiegelnde Flächen und fügt, je nach Intention, frühgeschichtliche Zeugnisse (z. B. Faustkeile, Gefäße) und Tierfragmente hinzu, die augenscheinlich auf kultische Bezüge schließen lassen. Neben Beamer-Projektionen setzt er seit 1985 bis heute immer wieder Overhead-Projektoren ein, denen etwas Nostalgisches eigen ist. Mitunter arbeitet er mit Großprojektionen, etwa wenn er Bildmontagen von Körperpartien verschiedener Insekten, die noch animiert sein können, riesig an die Wand projiziertund Mikroorganismen zeigt. Auch wird der Ausstellungsraum zur Schauvitrine, die in der Tat zum Teil nur von außen zu sehen ist.

In jüngster Zeit hat Harald Fuchs für einzelne Ausstellungen mehrere räumlich getrennte Stationen zwischen Objekt und Installation geschaffen, die assoziativ um ein zentrales Thema kreisen: Während er im Forum für Fotografie in Köln 2012 den Genozid in Ruanda und den Versuch des Landes, durch Wahlen geordnete Strukturen zu schaffen, fokussiert hat, hinterfragte er 2015 im LVR-LandesMuseum Bonn dessen ureigene Aufgaben der archäologischen Aktivität, des Sammelns und Ausstellens.

Daneben realisiert Harald Fuchs großformatige Farbfotografien, die Details seiner Inszenierungen zeigen, dabei mittels Farbfilter, Perspektive und Ausschnitt abstrahiert sind, und noch einmal Schönheit und Grauen, Glaube und Unsicherheit durch das Unbegreifliche des Fortschritts zusammenführen. Seit 2008 wirkt Fuchs auch an zeitgenössischen Theaterproduktionen (Bühne, Video, Licht, Sound) mit. Mit seinem Gesamtwerk gehört er zu den wichtigen Vertretern der Medienkunst und den Pionieren einer Kunst im Kontext naturwissenschaftlicher Forschungen.

„QUANTENMECHANIK IM THEATER DER PROJEKTIONEN“

Text: Dr. Manfred Schneckenburger

Katalogtext zu der Ausstellung von Harald Fuchs im Museum Schloss Moyland mit dem Titel Das Paradoxe von Schrödingers Katze (oder wie wäscht man sein Geschirr mit schmutzigem Spülwasser…).

Schrödingers Katze ist weder tot noch lebendig. Das Pelztier des österreichischen Physikers ist nicht einmal real, sondern eine reine Kopfgeburt. Es existiert nur als Gedankenexperiment, mit dem Schrödinger ad absurdum führt, dass eine 50prozentige Möglichkeit des Todes sich in einer halbtoten Katze niederschlägt. Nur die empirische Kontrolle kann die Frage klären, ob die Katze quicklebendig oder mausetot in ihrem uneinsehbaren Behältnis steckt. Oder, wie Heisenberg das Problem löst: „Im Innersten der Welt gibt es das Dritte, das die Logik so gerne ausschließen möchte, nämlich neben dem Sein und dem Nichtsein auch noch das Möglichsein.“ Sein Kollege Schrödinger allerdings wollte schlicht auf ein Problem mit Einsteins Quantenmechanik hinweisen.

Ich begebe mich also auf schwankenden Boden. Metaphysik kann beides sein: eine Welt über die menschliche Welt hinaus, eine Hinter- und Überwelt, in der sich nur Gläubige und Theologen auskennen, oder eine Welt, in der Begriffe und Begreifen an ihre Grenze stoßen und selbst die Wissenschaft in Fragen endet. Das „Credo quia absurdum“, zu dem Augustinus Bekenntnisse sich zuspitzen lassen, und das Paradoxon, das Schrödingers Katze umgibt, sind sich letztlich verwandt. Naturwissenschaftliche Rationalität und Hinterwelten schließen sich nicht unter allen Bedingungen aus. Auch die Physik hat ihre Meta-Physik.

In diesem Spannungsfeld operiert und inszeniert Harald Fuchs. Unbekannte Kräfte, wo immer ihr Ursprung liegt, faszinieren ihn. Ungelöstes, Unlösbares fordern ihn heraus – nicht zur Lösung, sondern zur Darstellung. So vertiefte er sich in die religiöse Folklore blutender Kruzifixe und Schmerzensmänner und in ‚Kontaktreliquien’, die durch Berührung mit dem Original wundertätig wurden. Er kombinierte afrikanische Fetische mit naturwissenschaftlichen Diagrammen, Modellen, Formeln und Aufnahmen unter dem Elektronenmikroskop. Er schlug kühne Brücken, indem er Dokumentarfotos von Medizinmännern mit wissenschaftlichen Formeln überblendete. War es in früheren Installationen vor allem die Vergleichbarkeit der Bilder – Kalebasse und Petrischale, kamerunischer Zeremonialstab und Atompilz – so konzentrieren die Räume auf Schloss Moyland sich auf die Atomphysik. Nicht, dass Fuchs dem alten visuellen Analogiezauber ganz abgeschworen hätte, aber er verlegt den Kontrast jetzt ausschließlich in die Kernspaltung. Fuchs reagiert als Künstler auf Erscheinungen, die er (und nicht allein er) nur teilweise versteht. Er steht staunend vor den Geheimnissen der Atome, Mesonen und Protonen, nicht anders als früher vor den schwer begreiflichen Korrespondenzen naturwissenschaftlicher Lehrbücher mit dem Inventar der Medizinhütten. Er braucht keine Übereinstimmung zweier Welten mehr – die Metaphysik taucht aus der Wissenschaft selber hervor.

Von Anfang an zielt Fuchs nie darauf, Albert Einstein, Otto Hahn, Werner Heisenberg, Niels Bohr in die letzten Winkel ihres Denkens zu folgen. Stattdessen wählt er den Weg des Künstlers, mit dem Unbegreiflichen fertig zu werden, und projiziert es, wörtlich, zwischen Faszination und Mystifikation, Nebelkammer und Inszenierung, Dokument und Ästhetik ins Offene. Er verlässt den Pfad des ‚verlorenen Wissens’, der ihn u. a. mit regelrechten Expeditionen nach Afrika führte. Er verzichtet auf die Annahme einer intelligenten Suprastruktur, in der mythische, religiöse und naturwissenschaftliche Erklärungsmodelle den gleichen Rang haben. Er lässt die Überlagerungen von Zeichen aus Molekularbiologie und Quanten-mechanik mit den Bildern einer ‚primitiven’ Welt hinter sich. Er beschränkt sich auf die verborgene Nähe wissenschaftlicher Paradoxien zu den Antworten der Religion.

Vielleicht gehen die folgenden Bemerkungen völlig an den Intentionen des Künstlers vorbei, doch als freie Assoziationen behalten sie ihr Recht. Fuchs sucht Metaphern der Religion so gut wie der Wissenschaft. Wird Otto Hahns legendärer Tisch so zur Altarmensa, mit seinen Erinnerungen an die Kontrollierbarkeit der Kernspaltung, so gut wie der Altar die Transsubstantiation beschwört? Die zahlreichen Bilder aus der Nebelkammer zu Hinweisen auf Cella oder Bundeslade: innerste Einschlüsse einer unsichtbaren Gewalt, die sich im Sichtbaren zeigt, ob das nun ein brennender Dornbusch oder eine andere Epiphanie ist? Ein Mysterium, in dem der Deus absconditus, der verborgene Gott, mit der stärksten Strahlung verschmilzt? Antwortet die isolierte Zeichnung des Buches in der rechten unteren Ecke von Hahns Tisch auf die Mosaischen Gesetzestafeln? Lässt die dämmrige Inszenierung sich so als Gleichnis zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und metaphysischer Ahnung verstehen? Als eine Konstellation, in der Wissenschaft an ihre Grenzen stößt und auch Religion nur im Glauben weiter weiß? Dass der Synkretismus von Fuchs zwischen heidnischen, jüdischen, christlichen Symbolen fast beliebig changiert, geht wohl auf seinen – letztlich – außerreligiösen Standort zurück.

Am Anfang steht Hahns Tisch. Er wird, obgleich später nachkonstruiert, als Inkunabel eines neuen Zeitalters im Deutschen Museum in München aufbewahrt. Dort steht er in seinem Schrein aus Panzerglas und ruft die Anfänge einer Epoche wach, die bis heute reicht. Er bezeugt eine Arbeitsweise, wie sie auch der Tisch mit Aggregat von Joseph Beuys festhält: in großer Einfachheit und Konzentration – eine Analogie zum Gehäuse des Hieronymus, von dem mit der Bibelübersetzung eine immense geistige Strahlkraft ausging, so wie Hahns Tisch die Schwelle von menschlichem Denken zu den unermesslichen Kräften der Atomenergie markiert.

Gerade in der kargen Beschränkung liegt eine Magie, die aus dem Tisch, zum einfachen Bild geworden, eine Ikone macht. Er vertritt ein apokalyptisches wie ein Frieden sicherndes Potential: Möglichkeiten zur Vernichtung wie zum Nutzen der Menschheit. Er steht da, als ob Hahn eben erst aufgestanden wäre und gleich wieder kommen könnte. Das aufgeschlagene Buch wird zum Statthalter seiner Präsenz, so wie die Spulen, Messgeräte, Apparaturen auf den Zugriff seiner Hände zu warten scheinen.

Dann der nächste Schritt! Nach der theoretischen Grundlegung experimentiert die Forschung in der Nebelkammer (auf ihren verschiedenen Entwicklungsstufen). Mit kleinsten Elektronen wird, knapp unterhalb der Lichtgeschwindigkeit, ein Atomkern beschossen, zersplittert, gespalten. Länge und Kurvatur der sichtbar gemachten Spuren lassen Art und Energie der Teilchen erschließen. Fotos aus diesem Beobachtungsraum sucht Fuchs seit vielen Jahren aus Fachbüchern und -magazinen zusammen. Er hält sich dabei an eine ältere Phase der Atomphysik, in der die Nebelkammer noch auf engem Raum konzentriert war. Heute werden die Erkundungen weiter getrieben. Der größte Beschleuniger, in Genf (CERN), ist 27 km lang.

Tisch wie Nebelkammer liefern das Vorlagenmaterial von Fuchs. Er nutzt es nicht für wissenschaftliche Erkenntnisse. Er vollzieht die visuelle Vorgabe in Grafit, aber auch als Einblattsiebdruck, zeichnerisch nach und eignet sie sich so auf eine spezifisch künstlerische Weise an. Was wie Fotos aussieht, ist in Wahrheit penibel mit dem Bleistift ausgeführt. Den Tisch gruppiert er vorsichtig neu und verändert das Zueinander der Experimentierblöcke. In der Nebelkammer verstärkt, formalisiert, rhythmisiert er die Verlaufslinien, klärt sie, wandelt positive Zustände in negative um und gewinnt daraus ein optisches Äquivalent zu den positiv oder negativ aufgeladenen Elektronen, die Grundlage der Beschleunigung sind. Seine Umsetzung hält die Mitte zwischen Reinzeichnung, Ausformulierung, Variation, Komposition. Aus Dokumentarfotos entstehen so signifikante Zeichnungen voller Spannung, Dynamik, Balance. Sorgsam ausgearbeitete große Blätter, die das Material der Ausstellung sind.

Doch Fuchs begnügt sich nicht mit Variationen über einen wissenschaftlichen Sachverhalt. Er wechselt nicht nur den Fotokarton durch Büttenpapier und einen chemischen Prozess durch den Bleistift oder ein Siebdruckverfahren aus. Er belässt es nicht bei der Vergrößerung oder formalen Intensivierung der Vorlagen. Er wechselt auch Ausschnitt, Blickwinkel, Maßstab, Distanz. Er bearbeitet sein Bildmaterial mit großer Flexibilität, nicht im Sinne wissenschaftlicher, sondern ästhetischer Eindeutigkeit. Er unterwirft es einer subtilen Steigerung und macht es zum Material und Mittel einer bewegten Nähe, die uns umgibt und umlagert, bedrängt und packt, bis wir selber der Ruhepol im Umfeld energetischer Assoziationen, Strömungen oder Signale sind. Wo immer das Auge hinfällt (und das Ohr hinhört) – alles trifft auf ‚rhythmische Bewegungen’, be- oder entschleunigte Richtungsverläufe, ob linear, zyklisch oder spiralförmig ausgerichtet.

Fuchs geht aber noch weiter und entwirft ein ganzes System environmentaler Begleitumstände. Overheadprojektoren überlagern sich mit dem Beamer zu einem lebendigen Spiel von Transparenzen und Überblendungen. Die Overheadprojektionen setzen scharfe Lampenpunkte, aus denen sich eine auratische Atmosphäre bildet. Solche Geräte gehören zu den Lieblingsmedien von Fuchs, weil mikroskopische Abläufe sich damit ‚live’ und vielfach vergrößert vorführen lassen.

Zu den Bildern von Hahns Tisch und aus der Nebelkammer tritt als weiteres Element das Hin und Her, Auf und Ab, Vor und Zurück weißer Billardkugeln, die auf die Wand gebeamt werden. Mit wechselnden Geschwindigkeiten stoßen sie über Wasserspiegel. Ringe breiten sich exzentrisch aus, denn unter einem Overheadprojektor fallen in unregelmäßigen Abständen Tropfen in stehendes Wasser. Sie sinken oder steigen wieder auf, so wie auch die Billardkugeln in einem Raum ohne Schweregesetz zu agieren scheinen. Vertiefungen tun sich auf, verschlingen einen Ball, pulsieren, stoßen ihn wieder zurück, Richtungen kehren sich um, nehmen allseitig andere Verläufe an. Physikalische Gesetze von Gravitation und Ponderation sind wie außer Kraft gesetzt und werden gerade dadurch bewusst. Eine Analogie zum Verhalten in der Nebelkammer, wo die Teilchen sich, extrem beschleunigt, der mechanischen Zeit entziehen und diese im Bereich der Antimaterie aufheben? Die Ungebundenheit der Billardbälle und Wassertropfen setzt das, als schwachen Anklang, ins Bild.

Dazu erfüllt der Knall aufprallender Billardkugeln den ganzen Raum. Die Vorgänge in der Nebelkammer werden, wie in einem unendlich verlangsamten, sehr simplen Modell, auf den einfachsten Nenner sinnlicher Wahrnehmung gebracht. Jeder Aufschlag, Anschlag, jedes Ping und Pong geben den Geschehnissen im Beschleuniger eine akustische Vergegenwärtigung – nicht parallel zu den Kugeln, sondern als ein besonderer Rhythmus von abrupter, aleatorischer Musikalität. Bild und Klang laufen meist gegeneinander versetzt, finden aber auch streckenweise zusammen und überlagern sich. Wesentlich ist jedoch der jeweils eigene Ablauf. Wo das Prinzip der Spaltung dominiert, gilt das sogar für Bild und Klang.

Noch näher kommen diesem Grundmuster z. B. Wassertropfen, die in heißen Eisenpfannen platzen. Sie ziehen sich zusammen, da selbst noch die kleinste Kugelform einem harmonischen Energieerhalt dient. Für die Vorführung projizieren fünf Beamer kontrahierende, aufspringende, verdunstende Blasen auf frei hängende Leinwände. Diese umgeben uns mit einem Blubbern und Sprühen, irgendwo zwischen Ursuppe und Explosion. Wasserspritzer schießen als Torpedos durch ein mäßig bewegtes Umfeld. Zwischendurch klappert eine mechanische Schreibmaschine den Brief nach, den Einstein 1938 an den amerikanischen Präsidenten schrieb: Er erläuterte darin die militärischen Auswirkungen der Atombombe. Durch den Umschlag (positiver) schwarzer in (negative) weiße Buchstaben erhält der Brief eine geisterhafte Existenz. Weiße Zeichen, die in der Luft schweben, sind ein Standard spiritistischer Séancen. Unter den Zeichnungen nach Fotos findet sich auch ein Atompilz. Bei näherem Hinsehen erkennt man Fliegenbefall: Tote Fliegen gelten traditionell als Vanitas-Symbol, bei Sartre stehen sie für Erinnyen und Schuldgefühle. Der Atompilz zieht sie an wie eine Kerzenflamme Motten.

Dazu gliedern, zerteilen, spalten wandhohe Spiegel die Bildwelten ins Endlose. Das Erlebnis des ohnehin dicht bestückten Raumes intensiviert und dynamisiert sich durch eine labyrinthische Multiplikation ins Unendliche. Zerbrochene Glasscheiben mit serigrafisch aufgebrachten Strömungslinien und Strukturen des menschlichen Gehirns sind, die Spitzen nach unten, zwischen Tischplatten geklemmt. Den ganzen Raum erfüllen so Bilder von Spaltung, Zerrissenheit, Zerfall, energetischen Strahlungen, nicht als Fotos, sondern als aktive zeichnerische Einlassung und Eingriffe des Künstlers, durch Spiegelungen noch einmal zerlegt, vervielfacht und unter den Bedingungen der Spaltung wahrnehmbar gemacht. Ein schillerndes Ineinander von Fotonachzeichnungen, ausgezogenen Spuren, realen Energieexplosionen, dazu der omnipräsente Zusammenprall von Billardkugeln, zerplatzenden Wassertropfen und eine Schreibmaschine, die den Einsteinbrief in die Tasten hackt. Ein gleichermaßen differenziertes wie kompaktes, dokumentarisches wie mystifizierendes, ins Licht gerücktes wie dem Licht entzogenes Bildertheater, das um Forschung, Kernenergie und -spaltung kreist.

Durch die ganze Inszenierung ziehen sich, mit Hilfe der Spiegel, immer wieder Blicke auf Ausstellungsbesucher, auf uns: von hinten, von der Seite, frontal. Das Auge auf dem Betrachter, das Auge des Betrachters verselbständigen sich zu einem eigenen Thema, das dem Verlangen, zu sehen und zu erkennen, offenkundig unlöslich innewohnt. Natürlich erinnert das an die Heisenbergsche Unschärferelation und an Versuchsbedingungen, die das Ergebnis verändern und mit bestimmen. Oder, auf die Zuspitzung von Niels Bohr gebracht: „Niemals können Wissenschaftler erfassen, was die Natur wirklich ist. Sie können nur erfassen, wie die Natur erscheint, da sie selbst zu dem Versuch bzw. zu der Messung gehören, die sie unternehmen.“ Fuchs liefert diesen Umstand fast beiläufig mit und illustriert, reflektiert damit einen wesentlichen Aspekt wissenschaftlicher Erkenntniskritik. Indem er seine Sicht mit Methoden und Effekten von Spiegelkabinetten oder Jahrmarktsbuden demonstriert, gibt er eine spielerische Freiheit dazu, die auf einer künstlerischen Ebene liegt und Unschärfen doch präzis ins Visier nimmt.

„Harald Fuchs – Das große Ganze / The Big Picture“

Katalogtext in dem Künstlerbuch DAS GETEILTE UNTEILBARE / THE DIVIDED INDIVISIBLE von Harald Fuchs,  2023

Text: Sabine Elsa Müller (dt.)

Wenn Harald Fuchs über seine künstlerischen Intentionen und Themen spricht, beginnt der Raum sich zu weiten. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – die Zeitläufe dehnen sich. Plötzlich offenbaren die abstrakten Codes der modernen Naturwissenschaften eine ästhetische Verwandtschaft mit den frühesten Zeugnissen menschlicher Kultur. Gleichzeitig verbirgt sich in der Anmut der Formel zur Kurvendiskussion eine fundamentale Erkenntnis, die den meisten Menschen ebenso fantastisch erscheint wie die prähistorischen Felsmalereien auf dem afrikanischen Kontinent, die Harald Fuchs in mehrfachen Expeditionen erforschte.

Als wacher, am Leben äußerst interessierter Mensch findet sich der Künstler umgeben von einer Fülle wirkmächtiger Phänomene, deren Funktionsweise die menschliche Vorstellungskraft herausfordert. Die Naturwissenschaften mit ihren bis in die kleinsten Verästelungen der Gentechnologie, der Nuklearphysik oder Hirnforschung eindringenden Spezifizierungen liefern Welterklärungsmodelle, die trotz ihrer exakt ableitbaren Beweisführung dem Laien kaum weniger geheimnisvoll und mythisch anmuten als der Wunderglaube der katholischen Kirche oder die Fetische der sogenannten Naturreligionen. Wie lässt sich aus diesem reichen Angebot an Wahrheiten eine Spannung erzeugen, die der eignen körperlichen, geistigen und seelischen Verbundenheit mit der Welt neue Perspektiven öffnet?

In seinen Installationen oder, wie er sie nennt, Raumzeichnungen konstruiert Harald Fuchs ein offenes Experimentierfeld. Er liefert keine fertigen Bilder, sondern einen Erlebnisraum, in dem die sich überlagernden Projektionen von Artefakten, Filmen, Dias und Lichtpunkten stets neue Cluster bilden. Licht, Masse und Energie schaffen einen sinnlichen Raum, der durch Veränderung, Bewegung und die Präsenz von Körpern erfahrbar wird. Die Interpretation dieser Erfahrung bleibt den darin umherwandelnden Personen überlassen. Je weniger eindeutig die Situation eingeordnet werden kann, desto größer die Notwendigkeit, neue Sichtweisen zu entwickeln. Sehen ist hier ein ganzheitliches Erleben weit über den retinalen Vorgang hinaus. Die mehrdimensionale Komplexität dieser Ausnahmesituation versetzt das Gehirn in einen hohen Erregungszustand, verbunden mit einer übersensibilisierten Wahrnehmung der eigenen Körperlichkeit, die sich wiederum auf die Orientierung bzw. Desorientierung im Raum und die Sinne wie das Tasten, Riechen, Schmecken, Hören, Fühlen (als Empfindung der Haut) und natürlich das Sehen auswirkt.

So wie eine Raumerfahrung nicht in einer zweidimensionalen Fotografie wiedergegeben werden kann, so wenig lässt sie sich adäquat in einem Buch abbilden. Jedoch kann der ihr zugrunde liegende künstlerische Gestaltungsprozess in ein anderes Medium transformiert werden. Wenn der Künstler die fotografischen Dokumentationen seiner Ausstellungen als Ausgangsmaterial verwendet, neu zusammenzusetzt und mit weiteren Bild- und Texteinheiten überformt, überträgt er seine Technik des Sampelns von Wirklichkeitsfragmenten auf die Dimensionen des Künstlerbuches. Das vorhandene Material wird miteinander vernetzt und liefert die Basis für neuen Input.

Dass hier die Doppelausstellung in Rottenburg am Neckar den weitaus größten Umfang einnimmt, macht deren herausragenden Stellenwert kenntlich. Sie ist der Kern, zu dem sich die weiteren, im Buch zitierten Ausstellungen jeweils verhalten und in Beziehung setzen. In 2021, dem Coronajahr, waren im Diözesanmuseum und im Kulturverein Rottenburg zeitgleich zwei große Rauminstallationen zu sehen, „Materials Reloaded“ (Diözesanmuseum) und „Reloaded Materials“ (Kulturverein) deren inhaltliche Verwebung schon in den Titeln deutlich wird. Mit den Titeln werden gedankliche Assoziationsräume eröffnet. Der Untersuchungsgegenstand selbst will von den Besucherinnen und Besuchern erst entdeckt werden.

Höchst aufschlussreich für das weiträumige und beziehungsreiche Denken des Künstlers ist die Entstehungsgeschichte der Rottenburger Ausstellung. Als Student an der Kunstakademie Stuttgart hatte Fuchs in jungen Jahren das Diözesanmuseum besucht und die dortige Sammlung von Glasreliquien kennengelernt. Viele Jahre später sollte diese Sammlung den Grundstock für eine Ausstellung bilden. Da die Glasreliquien inzwischen gar nicht mehr ausgestellt waren, setzte der Künstler durch, dass sie in einer eigens angefertigten Vitrine wieder ans Licht kamen. Sie wurden dringend benötigt, um den tragenden Gedanken der Ausstellung, die Verbindung zwischen unserem heutigen und dem alten Glauben herzustellen und damit in das Wesen von Religion einzudringen. Die mehr oder weniger schlichten Glasgefäße enthielten jeweils eine Reliquie, von denen manche inzwischen verschwunden sind – jedoch überträgt sich deren Heiligkeit auf das Glas, so dass sie immer noch wirkt. Ursprünglich wurden Glasreliquien zu deren Weihe in die Altäre eingebaut. Wird ein Altar aufgelassen, kommen sie ins Museum.

Harald Fuchs setzt den Glasreliquien die Bildcodes der Gentechnologie als Ausdrucksform des modernen Glaubens gegenüber. Jeder Mensch lässt sich über DNA-Streifen in seiner unverwechselbaren Codierung darstellen. Im Diözesanmuseum lagen 21 Originalsequenzen auf Röntgenfilm in einer langen Vitrine, deren Form an einen Sarkophag erinnerte und die mit einem Spionspiegel abgedeckt war. Von innen mit Schwarzlicht beleuchtet, waren die DNA-Sequenzen nur für kurze Zeit sichtbar. Sobald das Licht ausging, sah man stattdessen sich selbst, gespiegelt auf der Glasoberfläche. Die im 30-Sekunden-Takt wechselnden Bilder drehten und wendeten den Menschen in seiner unverwechselbaren Einzigartigkeit von innen nach außen und verbanden sich zu einem starken Bild des in diesem Augenblick gesehen und erkannt Werdens, das einem zutiefst menschlichen Bedürfnis entspricht.

Im Spiegelbild tritt der Mensch, der ich in diesem Moment bin, in seiner äußeren hinfälligen Erscheinung zu Tage. Im Sarkophag, der ja auch ein Altar ist, ist der bis in sein Innerstes durchleuchtete Mensch in seiner wissenschaftlich analysierten Einzigartigkeit abgebildet. Was aber macht einen Menschen aus? Das lässt sich so wenig in seiner DNA nachweisen wie die Wunderkraft einer Reliquie. Was trägt, ist ein tiefes inneres Wissen jenseits des Beweisbaren. Die Gewissheit von der eigenen Freiheit und Unantastbarkeit der eigenen Würde.

Harald Fuchs zelebriert die Ingredienzien seiner Installation mit mythischem Impetus, wie es auch von den Religionen, beispielsweise von der katholischen Kirche, praktiziert wird. Im Diözesanmuseum waren die Räume schwarz verdunkelt und nur von einer Reihe großer Spiegel-Kugeln erhellt, deren gegenläufige Lichtpunkte den Gleichgewichtssinn massiv herausforderten. Dabei geht der Künstler aber nicht als kühl kalkulierender Zeremonienmeister vor, der eine ganz bestimmte Wirkung erzielen will. Vielmehr ist seine eigene Betroffenheit der Motor für diese Versuchsanordnungen, die sich verändernde Prozesse und den Zufall einbeziehen, um den Bildern genügend Raum zur freien Entfaltung zu lassen. Der Künstler stellt seine Fragen an die Ausstellungsbesucher genauso wie an sich selbst. Diese Involviertheit wurde in Rottenburg in der besonderen Zutat der Gesichtsmaske, die er während des Aufbaus zu Schutz vor der grassierenden Covid 19-Pandemie trug, deutlich. Damit integrierte er nicht nur seine eigene DNA in den Gesamtaufbau. Er interpretierte die Maske als Requisit eines modernen Schutzheiligen.

Beim Durchwandern der großzügigen Räumlichkeiten waren in einem weiteren Bereich Klänge zu hören, und schließlich trat als deren Quelle eine 2-Kanal-Projektion ins Gesichtsfeld: Auf eine semitransparente Leinwand wurde im spitzen Winkel von der einen Seite die Prozession der Semana Santa in Málaga, die der Künstler besucht und gefilmt hatte, projiziert und von der anderen Seite mit einem populärwissenschaftlichen Film überblendet. Beim um die Leinwand Herumgehen waren sich stets verändernde Mischformen der beiden Filme zu sehen. Durch die unterschiedliche Länge der Filme von zwölf bzw. fünfzehn Minuten entstanden im Zusammentreffen immer wieder neue Situationen als unendlich sich wandelnder Strom von Bildern und Klängen.

Der permanente Veränderungsprozess fesselt die Aufmerksamkeit und steigert die Spannung. Man weiß nie, was als nächstes kommt. Wann kommt der Urknall, wann kommt das Schwarze Loch, wann kommt die Maria… Die Bilder wirkten fremd und suggestiv. Bei der Prozession trug eine dicht gedrängte Menge von etwa 140 Menschen Maria durch den Ort – als Symbol des Christentums, dem die Genesis in sieben Tagen zugrunde liegt. In der wissenschaftlichen Version ist der Urknall für die Entstehung der Welt verantwortlich. Je nachdem, wo man stand, sah man das eine oder das andere, oder eben Mischformen. Überraschende Momente, beispielsweise, wenn die Marienfigur sich in den Urknall verwandelt, wirken überzeugender als alles Planbare. Es passiert einfach und zwar in diesem Moment. Die Überblendtechnik ist ein mechanisches Verfahren, das in der Realzeit operiert. Pausen und Verdichtungen lösen einander ab, und gerade in den unerwarteten Brüchen entstehen Leerstellen, die der Neujustierung des Blickes Raum lassen.

Im oberen Bereich, in dem das Museum seine Sammlung zeigt, fand eine weitere Intervention von Harald Fuchs statt. Ein großer geschmiedeter Nagel wurde über einen Overhead-Projektor einer skulpturalen Kreuzigungsgruppe aus dem 15. Jahrhundert zugeordnet, so dass seine schillernde Projektion zu einem Teil davon wurde. Der real anwesende Nagel wurde dadurch wiederum zur Reliquie. Des Weiteren wurde eine afrikanische, mit drei großen Zimmermannsnägeln bestückte Leiter in die Gruppe integriert. Sie konnte ebenso als Nagelfetisch wie als Symbol der Kreuzabnahme gelesen werden, schien also erstaunlicherweise in beiden Kontexten zu Hause. Durch veränderte Perspektiven und Zuordnungen lassen sich vollkommen neue Bedeutungszusammenhänge herstellen.

Fünf Minuten fußläufig vom Diözesanmuseum entfernt befindet sich der Kulturverein. In der dort eingerichteten Installation ging es um Afrika, beim genaueren Hinschauen aber um dieselbe Thematik wie im Diözesanmuseum: Das Individuum, hin und hergeworfen in seiner freien Existenz und in seinem Leid. Harald Fuchs bereiste den afrikanischen Kontinent bisher zweiundzwanzigmal. Seine 20. Reise galt Ruwanda. Auf der Suche nach Zeugnissen des Genozids von 1994 besuchte er ein inoffizielles Memorial vor den Toren Kigalis. In einer Kirche, die eher einem Schuppen aus Backstein mit einem Wellblechdach gleicht, wird den annähernd 5000 Menschen gedacht, die dort Unterschlupf suchten, aber allesamt erschlagen wurden. Beide Bevölkerungsgruppen, die ermordeten Tutsi wie die mordenden Hutus, sind Christen. Das Memorial zeigt: Es gibt keinen religiösen Schutz.

Die Kleidungsstücke der Erschlagenen wurden, besudelt wie sie waren, als formlose Masse an die Wände und Deckenbalken dieser Kirche gehängt. Während Harald Fuchs im Raum saß, merke er, dass es ringsum von der Decke herabrieselte. Schließlich wurde er gewahr, dass die Bänke übersät waren von Stofffasern. Sie fielen herab, weil Motten und anderes Ungeziefer in den Kleidern saßen. Es knuspert die ganze Zeit – irgendwann wird es diese letzten Überreste nicht mehr geben. Fuchs erkannte in diesen Fasern eine neue Form von Reliquien in der Kategorie der Stoff- oder Kontaktreliquien. Über die Haut wird etwas von der Person auf das Kleidungsstück übertragen, Blut und Schweiß kommen dazu. Der Künstler klemmte einzelne Fasern in insgesamt 400 Diarähmchen und projizierte sie über Dia-Karussells auf semitransparente Leinwände, die wiederum im Raum hingen und sich von beiden Seiten betrachten ließen. Je nach Standort wurde der eigene Schatten Bestandteil der Bilder, so dass sich die Fasern auf den eigenen Körper zu legen schienen. Hier schließt sich der Kreis. Reliquien von einem Massaker als Fortsetzung der Glasreliquien des 15. – 19. Jahrhunderts im Diözesanmuseum.

Das typische Merkmal der Bilder von Harald Fuchs ist ihre schillernde Vielschichtigkeit. Zuerst meinte man in den Projektionen der Installation „Reloaded Materials“ Zeichnungen gegenüberzustehen. Bis man bemerkte, dass sich kleine Härchen bewegten. Diese Entdeckung führt zum Nachdenken darüber, um was es sich tatsächlich handelt. Man könnte auch an Haare denken. Schnell getroffene Annahmen geraten ins Wanken. Dazu trugen auch ein Foto von dem Kirchenraum mit den herabhängenden Kleidern und ein 5-sekündiger Videoausschnitt des Massakers bei. Eher elegisch dazu verhielt sich ein Film, der in ruhigen Bildern zeigte, wie Fuchs durch Kigali fährt und sich langsam dem Memorial nähert. Auf den Werbetafeln im Stadtbild sind ähnliche Stoffmuster zu sehen wie im Memorial. Die Geschichte geht weiter. Auch in der Gegenwart ist der Konflikt noch lange nicht befriedet.

Die Kunst-Erfahrung unterscheidet sich von der alltäglichen Art und Weise des in der Welt Seins nicht in ihrer Ganzheitlichkeit, womöglich aber in ihrer Intensität. Der Künstler bringt durch die Auswahl der Einzelelemente und ihrer Zuordnung eine Qualität ein, die die Bedeutung der für sich betrachteten Dinge übersteigt. Aus dem vielschichtigen Zusammenspiel entsteht etwas Einzigartiges, das sich in dem Moment real ereignet, in dem ich es sehe. Jeder Besucher, jede Besucherin sieht etwas anderes.

Gleichzeitig existiert das GETEILTE UNTEILBARE, das der Buchtitel (der sich auch als Anspielung auf die Kernspaltung lesen lässt) in den Raum stellt. Denn es ist möglich, Anteil zu nehmen an dem anderen, Fremden. Sich über die persönlichen Erfahrungen austauschen und sich berühren lassen. So wie es eine Tatsache ist, dass sich die Gegenwart weiterer Personen im Raum auf geheimnisvolle Weise auf die eigene Wahrnehmung auswirkt, so ist eine autonome, beziehungsfreie Existenz nicht möglich. Harald Fuchs ist sich dieser Widersprüchlichkeit zwischen der Einzigartigkeit des Augenblicks, des Individuums, der Bedeutung der Dinge und eines ständig zwischen ihnen hin und her fließenden, sie verbindenden Energiestroms bewusst. In der Anerkennung dieses Widerspruchs liegt die Chance, in die Materie einzusteigen.

In der Zusammenführung dessen, was nie zusammen gedacht war, generieren sich immer wieder ikonenhafte Bilder, die in wahrhaftig erscheinen. In „Situationroom-Installation/Lehmhütte in Burkina Faso“ wird die berühmte Aufnahme aus dem Situationroom von dem Moment, in dem Bin Laden erschossen wurde, mit einem Foto überblendet, das afrikanische Kinder in einer Lehmhütte vor dem Fernseher zeigt. Durch die Vermischung kommen diese völlig getrennten Welten überraschend zusammen, als würden sie sich besuchen, und das Entsetzen der Personen aus der Industrienation scheint eine empathische Reaktion auf die in jeder Beziehung üble Lage des globalen Südens zu sein. So ist es aber nicht. Eine kleine Verschiebung der Perspektive verändert die Sicht komplett. Und damit das Denken.

Sabine Elsa Müller

 

„Harald Fuchs – Das große Ganze / The Big Picture“

Catalog text in the artist book DAS GETEILTE UNTEILBARE / THE DIVIDED INDIVISIBLE by Harald Fuchs, 2023

Text: Sabine Elsa Müller (engl.)

When Harald Fuchs talks about his artistic intentions and themes, the space begins to expand. Past, present, future – the passage of time stretches. The abstract codes of modern natural sciences suddenly turn out to be beautiful drawings whose expressive power is in no way inferior to Old Stone Age rock drawings. The gracefulness of the formula for the discussion of curves conceals a fundamental insight that seems as fantastic to most people as the prehistoric rock drawings on the African continent that Harald Fuchs has explored on several expeditions.

As an alert person who is extremely interested in life, the artist finds himself surrounded by an abundance of such powerful phenomena whose workings challenge the human imagination. The natural sciences, with their specifications that penetrate into the smallest ramifications of genetic engineering, nuclear physics or brain research, provide models for explaining the world that, despite their precisely derivable evidence, appear to the layman to be hardly less mysterious and mythical than the belief in miracles of the Catholic Church or the fetishes of the so-called natural religions. How can a tension be created from this rich offer of truths that offers new perspectives to one’s own physical, mental and spiritual connection with the world?

In his installations or, as he calls them, spatial drawings, Harald Fuchs constructs an open experimental field for such distillations. He does not provide ready-made images, but a space of experience in which the overlapping projections of artefacts, films, slides, points of light constantly form new clusters. Light, mass and energy create a sensual space that can be experienced through change, movement and the presence of bodies. The interpretation of this experience is left to the people wandering around in it. The less clearly the situation can be classified, the greater the need to develop new ways of seeing. Seeing here is a holistic experience far beyond the retinal process. The multidimensional complexity of this exceptional situation puts the brain in a high state of arousal, combined with an oversensitised perception of one’s own physicality, which in turn affects orientation or disorientation in space and the senses such as touching, smelling, tasting, hearing, feeling (as a sensation of the skin) and of course seeing.

Just as an experience of space cannot be reproduced 1:1 in a two-dimensional photograph, it cannot be adequately reproduced in a book. However, the artistic design process on which it is based can be transformed into another medium. When the artist uses the photographic documentations of his exhibitions as source material and repeatedly reassembles them and transforms them with further image and text units, he transfers his technique of multi-dimensional reality collage to the dimensions of the artist’s book. In this way, he relates works he has already realised to each other and in turn develops new levels of information from them. Reading this artist’s book requires an empirical spirit of research, a penetration beneath the surface, under which there is something, and under which there is something again, and so on.

The fact that the double exhibition in Rottenburg am Neckar takes up by far the largest part of the exhibition makes its outstanding significance clear. It is the core to which the other exhibitions cited in the book relate. In 2021, the year of Corona, two large spatial installations were shown simultaneously in the Diözesanmuseum and the Kulturverein Rottenburg, „Materials Reloaded“ (Diözesanmuseum) and „Reloaded Materials“ (Kulturverein), whose interweaving of content is already clear in the titles. But preferably Harald Fuchs‘ titles merely open up a space of association that makes one think of a project or a technical field of experimentation, and do not name any content. The object of investigation first has to be discovered by the visitors.

Highly revealing of the artist’s expansive and relational thinking is the story of how the Rottenburg exhibition came about. As a student at the Stuttgart Art Academy, Fuchs had visited the Diocesan Museum in his younger years and got to know the collection of glass relics there. Many years later, this collection was to form the basis for his exhibition. Since the glass relics were no longer exhibited, the artist arranged for them to be brought back to light in a specially made display case. For they were urgently needed to establish the connection between our present and ancient faiths and thus to penetrate the essence of religion.

The glass relics are more or less plain glass vessels that once contained a relic. Some have since disappeared, but the sacredness of the relic that was once present is transferred to the glass, so that it still has an effect. Originally, glass relics were built into altars to give them sacred consecration. When an altar is abandoned, they go to the museum. Harald Fuchs contrasts the glass relics with the image codes of genetic technology as a form of expression of modern faith. Every human being can be represented in his or her unmistakable coding via DNA stripes.

In the Diocesan Museum, 21 original sequences on X-ray film lay in a long display case whose shape was reminiscent of a sarcophagus and which was covered with a spy mirror. Illuminated from the inside with black light, the DNA sequences were only visible for a short time. As soon as the light went out, one saw oneself reflected on the glass surface instead. The images, which changed every 30 seconds, turned and turned the human being as an unmistakable individual from the inside out and combined to create a powerful moment of being seen, which corresponds to a deeply human need. But what is seen? In the mirror image, the human being that I am at this moment comes to light in his or her outer frail appearance. In the sarcophagus, which is also an altar, the human being, illuminated to his innermost core, is depicted in his scientifically analysed uniqueness. But what constitutes a human being can no more be proven in his DNA than the miraculous power of a relic can be seen. What remains is the power of the certainty of one’s own inner freedom and the inviolability of human dignity.

Harald Fuchs celebrates the ingredients of his installation with a mythical charge, as it is also used by religions, for example by the Catholic Church. In the Diözesanmuseum, the rooms were darkened in black and lit only by a series of large mirror balls, whose opposing points of light massively challenged the sense of balance. But the artist does not proceed as a coolly calculating master of ceremonies who wants to achieve a very specific effect. Rather, his own consternation is the driving force behind these experimental arrangements, which incorporate changing processes and chance in order to give the images enough space to unfold freely. The artist poses these questions to himself as much as to the exhibition visitors. This involvement was evident in Rottenburg in the special ingredient of the face mask he wore during the build-up under the conditions of the rampant Covid 19 pandemic. In doing so, he not only integrated his own DNA into the overall construction. He interpreted the mask as a prop of the modern patron saint.

While wandering through the spacious rooms, sounds could be heard in another area, and finally their source also entered the field of vision: it belonged to the procession of Semana Santa in Málaga, which the artist had attended and filmed. Projected sideways on a semi-transparent screen, it was superimposed on a popular science film projected by a second projector on the same screen, also at an acute angle, so that mixed forms of the two films could be seen as one walked around the screen. The different lengths of the films, twelve and fifteen minutes respectively, resulted in ever new images when they came together.

The permanent change captured the attention and increased the tension. One did not know what was coming next. When will the big bang come, when will the black hole come, when will Mary come… The images seemed very strange and suggestive. During the procession, a densely packed crowd of about 140 people carries Mary through the village – as a symbol of Christianity, which explains Genesis in seven days. In the scientific version, the Big Bang is responsible for the creation of the world. Depending on where you stood, you saw one or the other, or even hybrids. There were always surprising moments, for example when the figure of Mary turned into the Big Bang. Through the mechanics of the cross-fading technique, everything happened in real time. Pauses and condensations replaced each other, and it was precisely in the unexpected breaks that empty spaces were created that gave room for the readjustment of the gaze.

In the upper area, where the museum shows its collection, another intervention by Harald Fuchs took place. A large forged nail was assigned to a sculptural crucifixion group from the 15th century via an overhead projector, so that it became a part of it, in the manner of a relic. Furthermore, an African ladder was integrated into the group, which was equipped with three large carpenter’s nails. It could be read as a nail fetish as well as a symbol of the taking down of the cross, so it seemed surprisingly at home in both contexts. The changed perspectives and assignments created completely new contexts of meaning.

Five minutes‘ walk from the Diocesan Museum is the Cultural Association. Here it is about Africa, but on closer inspection it is about the same subject as in the Diözesanmuseum: the individual in his suffering. Harald Fuchs has travelled to the African continent twenty-two times. His 20th trip was to Ruwanda. In search of evidence of the 1994 genocide, he visited an unofficial memorial just outside Kigali. In a church that looks more like a brick shed with a corrugated iron roof, the nearly 5,000 people who sought shelter there are commemorated, all of them slain by the Hutus. Both populations, Tutsi and Hutus, are Christians. But there is no religious protection. The clothes of the slain were hung on the walls and ceiling beams.

While Harald Fuchs sat down in the room, he noticed that it was trickling down from the ceiling all around. Finally he became aware that the benches were littered with clothing fibres. They fall down because moths and other vermin sit in the clothes. It crunches all the time. At some point these last remnants will no longer exist. Fuchs took a few handfuls of the fibres. In the end, they are also relics, fabric or contact relics. Something is transferred from the skin to the garment. Harald Fuchs clamped 400 of these fibres in slide frames and projected them via slide carousels onto semi-transparent screens, which in turn hung in the room. In this way, they could be viewed from both sides, with and without their own shadows. Here we come full circle to the Diocesan Museum. Relics in a new form. Contemporary relics from a massacre.

At first you thought you were looking at drawings in the projections. Until you noticed that little hairs were moving. So you gradually realised that it had to be something completely different. In the installation there was also a photo of the church and a 5-second video clip of the massacre. This was accompanied by a film showing Fuchs driving through Kigali and slowly approaching the memorial. On the advertisements from the cityscape, similar materials can be seen as in the memorial.

Harald Fuchs does not deliver closed, but constantly changing pictures. Again and again, a different situation emerges from it as an alleged truth to be recognised, as often as one looks at it. In „Situation Room Installation / Mud Hut in Burkina Faso“, the famous shot from the Situation Room of the moment Bin Laden was shot is superimposed with a photo showing children in front of the television in a mud hut in Africa. Through the intermingling, these completely separate worlds surprisingly come together as if they were visiting each other. And the horror of the characters from the industrialised world seems as if it were directed at the situation in the global South. But it is not like that. Depending on one’s perspective, one sees something different. Without any break.

The experience of art differs from the everyday way of being in the world not in its wholeness, but possibly in its intensity. Through the selection of the individual elements and their assignment, the artist brings in a quality that transcends the meaning of the things considered for themselves. The multi-layered interplay gives rise to something unique that becomes real at the moment I see it. Every visitor sees something different. At the same time, there is the DIVIDED INDIVIDUAL, which the title of the book (which can also be read as an allusion to nuclear fission) puts into space. For it is possible to share in the other, the stranger. To exchange personal experiences and to let oneself be touched. Just as it is a fact that the presence of other people in the room has a mysterious effect on one’s own perception, an autonomous, relationship-free existence is not possible. Harald Fuchs is aware of this contradictoriness between the uniqueness of the moment, the individual, the significance of things and a current of energy constantly flowing back and forth between them, connecting them. In the recognition of this contradiction lies the chance to enter into the matter.

Sabine Elsa Müller

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